Mit „Herkules gesucht“ hat Gerhard Matzig von der Süddeutschen Zeitung seinen Beitrag zum neuen Bundesministerium für Bauen und Wohnen überschrieben. Eigentlich haben alle nur darauf gewartet. Sowohl beim Bund wie auch bei den NW-Landesministerien war das Thema Bauen zum Appendix geworden, zum Wurmfortsatz irgendwo zwischen Innenpolitik, Heimat, Kommunalem und Gleichstellung. Wir erinnern uns, Bauministerien waren Standard in den Bundes- und Landesregierungen und dies nicht von ungefähr. Der Wiederaufbau in den 1950er Jahren, die Stadtexpansionen der 1960er und 1970er Jahren, die Umbaupolitik in den 80ern, die vielen Neufassungen des Baugesetzbuches… Und immer, wirklich immer, sicherte ein Bauministerium die qualifizierte Entwicklung und Steuerung. Danach ist im ständigen Durcheinanderschütteln viel Kompetenz in den Ministerien auf der Strecke geblieben.
Verständlich war das nicht. Nicht nur ist das Bauen relevant für ein Drittel aller Emissionen, es hat auch zentrale Bedeutung für den sozialen Frieden – Stichwort geförderter Wohnungsbau –, für die Qualität des Lebens in unseren Städten und auf dem Land – Stichwort öffentlicher Raum – oder als Beitrag für die Energiewende.
Unverständlich dagegen, dass eine so zentrale Aufgabe wie ein ungeliebtes Stück Möbel ständig hin und her geschoben wurde. Das passte natürlich gut in die sogenannte neoliberale Zeit mit solch schlichten Forderungen wie „Privat vor Staat“ - der „Markt“ würde alles schon richten. Wie wir alle wissen, stimmte das nicht: Der Markt hat versagt und lässt Millionen Haushalte auf der Suche nach bezahlbarem Wohnraum schier verzweifeln.
Die Ampel will jährlich 400 000 Wohnungen bauen, davon 100 000 gefördert – bundesweit. Dabei haben fast die Hälfte aller Haushalte allein in NRW Anrecht auf eine geförderte Wohnungen. Was das für den Bedarf bedeutet kann man sich leicht ausrechnen.
Der Wohnungsbau ist für den neuen Bundes-Herkules (eine weibliche Form des Namens existiert noch nicht) nur eine von vielen, vielen Aufgaben. Mit aller Entschiedenheit müssen Aufgaben angepackt werden, die weit über die üblichen Themen hinaus gehen: Die soziale Kraft der Quartiere, Nachverdichtung, Energiewende, Ressourcenkreisläufe, neue Mobilitätsformen, die Not der Innenstädte, E-commerce, Reform der Baugesetze, neue Maßstäbe in der Stadt- und Raumentwicklung, neue Wohnformen und so weiter und so fort…
Ein Thema wird seit hundert Jahren diskutiert und gehört ebenfalls zu den Zukunftsaufgaben: Die Bodenreform. Baulandentwicklung macht viele Eigentümer zu sehr wohlhabenden Menschen, ohne jede eigene Leistung. Ihren Wohlstand lassen sie sich durch jene bezahlen, die ein Leben lang ihr Eigenheim abbezahlen. Die Bodenreform gehört ebenfalls in das Aufgabenbuch des Bauministeriums.
Ein Bauministerium ist kein Ministerium nur für den Wohnungsbau oder für Bundesbauten. Es hat zentrale noch völlig unterschätzte Aufgaben, mit denen wir unser zukünftiges Miteinander gestalten können. Eine große Chance für die nächsten Jahre.
Dr. Michael Zirbel
Link zum Koalitionsvertrag:
https://www.wiwo.de/politik/deutschland/pdf-zum-download-koalitionsvertrag-2021-2025/27830022.html